22 Juli, 2008

Um noch mal auf Emergenz zu kommen

Warum? Weil nach dem Posting vom 25. März 2008 Kommentare von Leuchtspur auftauchten, die Verständnisprobleme signalisierten, etwa in der folgenden Art:

“Strukturen bilden sich, untergeordnete Strukturen, übergeordnete Strukturen. Emergenz taucht auf. Und ob sich dadurch nun eine Spiralarmgalaxie bildet, oder ein Mensch, macht keinen allzu grossen Unterschied.”

In dieser Darstellung hat die Materie ja quasi göttliche Eigenschaften. Kann es sein, daß die Brights lediglich einen Gott durch einen anderen ausgetauscht haben?

Was ist der Witz an der Emergenz-Idee? Mit "Emergenz" ist gemeint, dass die Eigenschaften eines Systems nicht nur durch die Eigenschaften der Systembestandteile festgelegt sind, sondern auch durch die Struktur, die die Bestandteile bilden: Ein- und dieselben Kohlenstoffatome können als Graphitmine im Bleistift vorliegen, als ein Stück Holzkohle oder als Diamant. Die Eigenschaften des Gesamtsystems werden nicht allein durch die Eigenschaften des Bestandteils "Kohlenstoffatom" festgelegt, sondern gleichermaßen durch die Struktur, in der diese Bestandteile angeordnet sind. Ein- und dieselben H2O-Moleküle können fließendes Wasser bilden, ein Stück Eis oder auch eine Dampfwolke: Es ist die aktuelle Struktur der Bestandteile (also des Molekülverbandes), woraus sich die Systemeigenschaften ergeben.

Drückt der Laut "A" göttliche Erhabenheit aus? Nicht? Oder drückt der Laut "B" göttliche Erhabenheit aus? Oder vielleicht der Laut "C" ... oder "Z"? Wäre es – nachdem alle diese Fragen verneint sind – richtig, zu behaupten, dass Laute oder eine Folge aus Lauten nicht geeignet sind, göttliche Erhabenheit auszudrücken? Woraus besteht das Vaterunser? Die Bibel? Der Koran? Aus Lauten – aneinandergereiht – aber eben nur aus Lauten. Dieselben Laute, die den Bibeltext ausmachen, ergeben durch Umordnung kompletten Unfug, eine Shakespeare-Komödie, einen Agatha-Christie-Krimi, einen Pornoroman, einen Terroraufruf, Einsteins Dissertation oder was auch immer: Es sind eben nicht allein die Bestandteile eines Systems, die über seine konkreten Eigenschaften bestimmen, sondern gleichermaßen die Art und Weise, wie die Bestandteile angeordnet sind, also die Struktur des Systems.

Das alles ist nicht schwer einzusehen, es ist eher selbstverständlich, gesunder Menschenverstand.

Aber: Wenn es um Denken, Intelligenz, Gefühle, Liebe, Seele, Spiritualität geht, dann argumentieren Theisten gern, dass ein Wesen, das "lediglich" aus Molekülen besteht, nichts anderes als ein "seelenloser Bioautomat" sein könne. Und das ist einfach nur falsch. Denn der Mensch und sein Gehirn bestehen eben nicht nur aus der Zutat Moleküle, sondern auch noch aus der Zutat Struktur. Und genau so, wie Laute in einer geeigneten Struktur die Bibel hervorbringen, genau so repräsentiert die geeignete Struktur von Molekülen und Neuronen uns Menschen, mit all unseren religiösen und atheistischen, aufgeklärten Ideen und Gefühlen.

30 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Und damit wären wir wieder im alten Griechenland bei Aristoteles, nicht wahr?

Dieser Gedankengang schließt weder eine Seele, noch einen Gott noch Mentales aus. Aber er beweist sie auch nicht.

Viele Grüße,
Pic.

derBright hat gesagt…

Hallo Pic, all unsere mentalen Eigenschaften, einschließlich dessen, was wir gern unsere "Seele" nennen möchten, können aus dem Wirken unseres entsprechend strukturierten Gehirns ohne Zutun höherer Wesen zustande kommen. Wenn es das ist, was Du sagen willst, hast Du recht. Wer über alle Tatsachen und Argumente hinaus um jeden Preis für sich eine Gottesvorstellung braucht (die die entsprechende Gehirnstruktur natürlich auch gern leistet), dem mag man sie gönnen.

Anonym hat gesagt…

Hallo!
Erklär es mir doch bitte genauer!
Was ist das: "Struktur"?
Handelt es sich um einen Formfaktor?
Welche physikalische Größe steckt dahinter?
Ich lasse die Unterscheidung von schwacher und starker Emergenz mal außen vor.
Ist es, betrachten wir es evolutionistisch, nicht merkwürdig, daß plötzlich ganz neue Eigenschaften auftreten, wo doch in der Evolution alles sehr kleinschrittig verläuft? Und wenn durch Emergenz aus einem Gestöber von Molekülen so etwas wie Geist entstehen soll, an was passen sich da die Organismen an?
Dabei will ich das alles durchaus naturalistisch befragen, wobei ich glaube, daß der gängige Physikalismus eben nicht die ganze Wahrheit ist.
Viele Grüße

Anonym hat gesagt…

Hallo derBright!

Nein, das ist nicht ganz das was ich sagen wollte.

Zum einen wollte ich sagen, dass diese "Struktur" wie du sie nennst der "Form" (eidos) von Aristoteles sehr ähnlich ist (lediglich auf der Basis dieses Artikels gesehen).
Zweitens möchte ich darauf aufbauend sagen, dass dieser "Struktur"-Gedankengang meines Erachtens nach von jeglicher Diskussion um Seele, Geist und Gott unabhängig ist, beides quasi parallel denkbar ist.

Zu dir:
Du verbindest "Seele" und "Gottesvorstellung" in meinen Augen zu sehr miteinander. Auch diese beiden Vorstellungen sind unabhängig voneinander denkbar (Wir könnten eine Seele haben, jedoch ohne einen Gott - wie auch andersherum).

Zweitens scheinst du zu meinen, die Befürworter einer "Gottesvorstellung" hätten keine Argumente. Ich finde jedoch die Argumente gegen etwas, das normalerweise "Gott" genannt wird, mindestens ebenso unzureichend wie Argumente dafür.

Zudem verbindest du eine "Gottesvorstellung" sehr stark mit der Gehirnstruktur (hier meinst du anscheinend etwas anderes als obige "Struktur"), als ob eine "Gottesvorstellung" so etwas wie eine Halluzination wäre. Vielleicht hast du diesbezüglich bei einer sog. "religiösen Erfahrung" Recht, doch bei einem entsprechend fundierten Gottesbegriff muss ich dir da widersprechen. Er lässt sich nicht darauf reduzieren, denn das ist eine ebenso rationale Theorie wie auch ihr Gegenteil.

Viele Grüße,
Pic.

derBright hat gesagt…

Hallo Leuchtspur, man muss die Sache nicht komplizierter machen als sie ist. Wenn Dir die Bezeichnung "Struktur" nicht geheuer ist, sag "Anordnung der Bestandteile" oder sowas. Im Graphit und im Diamant sind absolut die gleichen Atome unterschiedlich angeordnet. Und wir müssen feststellen, dass beide Klumpen extrem unterschiedliche Eigenschaften haben. Dasselbe bei Eis und Wasser uswusf. (Eine Änderung der Anordnung ist mit Zufluss oder Abfluss von Energie im System verbunden. Wenn Du so willst, steckt also die physikalische Größe Energie dahinter.) D.h. wenn Du zu den physikalischen Eigenschaften der Kohlenstoffatome die (energetisch bedingte) "Zutat" Anordnung in unterschiedlichen Versionen zufügst, dann erhältst Du Klumpen mit unterschiedlichen Eigenschaften. Man darf gern darüber staunen, dass die Zutat Energie Anordnungen mit gänzlich unterschiedlichen Eigenschaften des Gesamtsystems "Kohlenstoffklumpen" bewirkt. Diese Tatsache ist einfach nur eine der bestaunenswerten Eigenarten unserer Welt. Wären wir uns erst mal bis dahin einig? Wenn ja, kommen wir anschließend zu weiteren Punkten.

derBright hat gesagt…

Hallo Pic,
Du hast recht, dass die Strukturbetrachtung zunächst mal nichts mit Ideen von Seele/Geist/Gott zu tun hat.

Dass ich "Seele" und "Gottesvorstellung" miteinander verbände, kann ich auch nach mehrmaligem Lesen nicht erkennen. Im Gegenteil rede ich extra vorher nur von der eigenen Seelenvorstellung (ohne Zutun höherer Wesen) und später unabhängig davon, dass es Leute gibt, denen an einer Gottesvorstellung liegt.

Wo sage ich, dass Leute mit Gottesvorstellung keine Argumente hätten? Mit einer Gottesvorstellung hat man alle Argumente der Welt. Man kann über jeden Sachverhalt sagen, Gott habe es wohlweislich so eingerichtet. Wie McGrath schreibt, braucht man sich dabei nicht mal an Fakten zu halten.

Dito. Und wenn dann der entsprechende Gottesbegriff voraussetzt, dass Gott unwiderlegbar ist, dann ist er eben per Definition unwiderlegbar. Ich finde es dagegen spannender, zu fragen, ob ein Gott zwingend nötig wäre - auch dann, wenn man ihn nicht voraussetzt.

Anonym hat gesagt…

Hallo derBright!

Die Verbindung "Seele" und "Gottesvorstellung" mag ich in dein Kommentar hineininterpretiert haben. Verzeih.

Du missverstehst mich allerdings bezüglich der "Gottesvorstellung". Denn ich meine nicht:
Argumente, die aus einer "Gottesvorstellung" folgen (wie du es anscheinend meinst, wenn du sagst ein Argument sei, dass Gott "es wohlweislich so eingerichtet" hätte).
Ich meine vielmehr Argumente in der Diskussion, OB es überhaupt einen "Gott" (oder wie auch immer wir es nennen) gibt oder nicht.

Hierzu (in der allgemeinen Diskussion) muss man sich nicht im Ansatz auf Mysterien stützen. Diese kommen erst dann zum Tragen, wenn man die Religion hineinnimmt mit seinem Glauben an Offenbarungen und ähnliches. Und hier möchte ich gar nicht widersprechen: Religionen haben auch in meinen Augen Schwierigkeiten, ihre Ansichten glaubwürdig zu vertreten.

Was den Gottesbegriff angeht, so scheinst du auch hier etwas überkritisch zu sein. Unwiderlegbar ist keine Theorie - doch auch das ist eine nicht unwiderlegbare Behauptung meinerseits.
Der Gottesbegriff, den ich jedoch meine stellt sich nicht als unwiderlegbar dar, sondern vielmehr als Vorraussetzung jeder Widerlegung.
Ich meine: Die Frage, die du gestellt hast, steht im Mittelpunkt dieser Diskussion um das, was wir "Gott" nennen.
Denn die Behauptung der Befürworter ist ja, dass alles (Kreaturen wie Theorien) "Gott" als Vorraussetzung hat und es eben - wie du sagst - zwingend nötig ist, ihn als Vorraussetzung zu haben.
Die Argumente für ein solches "Absolutes" - "Gott" - (die sog. "Gottesbeweise", die keine "Beweise", sondern eben nur Argumente sind) sind sehr interessant und die Gegenargumente wie auch die Gegenargumente gegen die Gegenargumente sind zahlreich.

Und hier kommt meineserachtens der Glaube ins Spiel... aber das führt zu weit.

Ich wünsche einen schönen Abend,
Pic.

Anonym hat gesagt…

Hallo!
Ich will ja nichts kompliziert machen.
Aber ist es wirklich einfach?
Selbst die Sache mit Graphit und Diamant ist doch nicht erklärt, verweist man einfach auf energetische Unterschiede. Den gleichen Energiebetrag in eine bestimmte Menge Wasserstoff gesteckt, macht außer einer durchschnittlichen Beschleunigung der Moleküle gar nichts. Die Energieänderung mag ein notwendiges Faktum sein, sie ist aber nicht hinreichend.

derBright hat gesagt…

Hallo Pic, wenn ich Dich richtig verstehe, dann interessieren Dich vor allem "Argumente in der Diskussion, OB es überhaupt einen 'Gott' ... gibt oder nicht." Ich denke, George V. Coyne hat recht wenn er sagt: "Die Wissenschaft ist gegenüber religiösen, philosophischen und theologischen Schlussfolgerungen absolut neutral." Für mich heißt das, die Wissenschaft bedarf der Hypothese "Gott" nicht. Wer die Vorstellung für sich trotzdem braucht (und dann dafür vielleicht nach Argumenten sucht), das hatte ich in meiner ersten Antwort an Dich schon geschrieben, dem mag man sie gönnen.
Beste Grüße, derBright

derBright hat gesagt…

Hallo Leuchtspur, es ist so einfach, wie Du sagst: Wenn Du mit dem gleichen Energiebetrag wiederholt das gleiche Ergebnis erreichen willst, dass musst Du immer auch die hinreichend gleichen Bedingungen einstellen. Also: Den gleichen Energiebetrag in die gleiche Presse gesteckt wandelt Dir einen weiteren Graphitklumpen in einen weiteren Diamanten um. Wenn Du dagegen den gleichen Energiebetrag benutzt, um dir mit dem Hammer auf den Daumen zu hauen, entsteht eher ein breiter Daumen als ein Diamant. Können wir uns damit darauf verständigen, dass in der Wissenschaft hinreichend gleiche Bedingungen zu hinreichend gleichen Ergebnissen führen und somit die "Sache mit Graphit und Diamant" als "erklärt" ansehen?

Anonym hat gesagt…

Hallo!
Es ist gar nichts klar, wenn man sich nicht mit Worthülsen zufrieden gibt.
Was heißt nun: "gleiche Bedingungen"? Nach Deiner Sicht doch wohl folgendes: Immer wenn ich Graphit presse, entsteht Diamant. Mein Einwand war, warum führen die gleichen Bedingungen (Druck,Temperatur) bei Wasserstoff nicht zu dem, was Du beim System Graphit/Diamant Emergenz nennst. Wenn Du aber den Begriff "Bedingungen" auch auf den Stoff ausdehnst, so ist die Aussage trivial und erklärt nichts. Du sagst dann lediglich: Immer wenn man Graphit auf eine bestimmte Weise behandelt, entsteht Diamant (=> Emergenz). Immer wenn man Wasserstoff auf die gleiche Weise behandelt, beobachtet man keine Emergenz.
Ich frag aber, was das besondere an Kohlenstoff und Wasserstoff ist, daß eine Emergenz bzw. keine entsteht.

derBright hat gesagt…

Hallo Leuchtspur, wieso, bitte, soll hinreichend gleiche Bedingungen eine "Worthülse" sein? Genauer und treffender kann man doch gar nicht sagen, dass die Bedingungen gemeint sind, die sicher zum gleichen Ergebnis führen. Gäbe es das nicht, könnte man gar keine Wissenschaft betreiben.
Also zum x-ten mal und ganz langsam: Bestünde die ganze Welt aus nichts anderem als nur aus einzelnen Kohlenstoffatomen, dann gäbe es in der Welt die Eigenschaften "hart" und "weich" gar nicht, weil ein einzelnes Kohlenstoffatom weder "hart" noch "weich" ist. Wer nun behaupten würde, in der ganzen Welt kann es die Eigenschaften "hart" und "weich" nicht geben, weil sie von dem Bestandteil Kohlenstoffatom nicht mitgebracht werden, der muss sich davon überraschen lassen, dass hineichend gleiche Pressbedingungen unweigerlich zu weichen Graphitklumpen bzw. zu harten Diamanten führen. Damit sind die Eigenschaften "hart" und "weich" in der Welt neu entstanden, obwohl sie vorher nicht da waren. Das ist das, was ich Emergenz nenne. Und die gleiche Emergenz hat das Potential, aus Neuronen, die einzeln nicht denken können, Dein Gehirn zu bilden, von dem Du fühlst, dass es denkt. Nenn das trivial, wenn Du willst, aber komplizierter ist die Sache eben nicht.
Du hingegen scheinst aus irgendeinem Grund von Emergenz Wunder zu erwarten wie aus unerklärlichen Gründen spontan sprechende Flugzeuge oder Diamant aus Wasserstoff und ähnliches, und wenn solche Wunder dann erwartungsgemäß nicht eintreten, beschwerst Du Dich auch wieder über die Emergenz, die dann nicht leistet, wass Du ihr vorher unrichtigerweise zuschreiben wolltest.

Anonym hat gesagt…

Hallo!
Nun, dann will ich versuchen es selbst zu erklären. Der Unterschied zwischen dem System Graphit/Diamant und dem Wasserstoff, wie oben beschrieben, ist natürlich nicht mit dem Energiebegriff alleine zu erklären, sondern es muß ein anderer Faktor dazu kommen.Dieser ist ein Formfaktor, nämlich die Struktur des Kohlenstoffatoms bzw des Wasserstoffatoms. - Da haben wir ihn wieder, den Formfaktor!!!, diesmal auf atomarer Ebene und der letztlich die Eigenständigkeit der Chemie gegenüber der Physik begründet.Für die Chemie ist dieser Formfaktor, der in dem Begriff der chemischen Eigenschaften enthalten ist, essentiell.
Was bedeutet das nun für den Begriff der Emergenz in diesem Fall? Möglicherweise handelt es sich bei dem Kohlenstoffbeispiel lediglich um das, was man epistemische Emergenz nennt. Damit gemeint ist etwas, was man lediglich für emergent hält, nur weil man nicht alle Bedingungen des Systems kennt (Ich verzichte hier auf weitere Ausführungen zum Hybridisierungszustand der Kohlen-bzw.Wasserstoffatome und möchte nur andeuten, daß man dazu auch mehr sagen kann, ohne daß der Formfaktor an irgendeiner Stelle irrelevant würde.) Ein anderer Begriff dafür ist schwache Emergenz. Davon zu unterscheiden ist das, was man starke Emergenz nennt; doch das ist ein anderes Kapitel.
PS. Mit Wunderglauben hat das Ganze nun, wie Du vielleicht bemerkst, nichts zu tun, wohl aber mit der Absicht, Dinge die als so einfach erscheinen, etwas gründlicher anzuschauen. - Die anderen Fragen, die ich eingangs gestellt habe, sind natürlich bisher in keiner Weise geklärt. Ich erwarte auch keine Antworten darauf weil bislang niemand diese Fragen beantworten kann. Sie sollten aber dazu dienen, einen Moment inne zu halten, nachzudenken.

derBright hat gesagt…

Hallo Leuchtspur, je nach Art des betrachteten Systems verfügen die Bestandteile über unterschiedliche Eigenschaften. Für bestimmte (chemische) Systeme siehst Du eine Bestandteileigenschaft "Formfaktor" als wesentlich an. Da meine Darstellung das Kohlenstoffbeispiel nur zur Illustration nutzt und weder auf bestimmte Systeme noch auf bestimmte Systembestandteile eingegrenzt ist, passt sich Deine Meinung nahtlos ein. Auch in der Frage einfach/kompliziert müssen wir nicht auseinanderliegen, wenn wir uns darauf verständigen, dass die Tatsache relativ einfach nachvollziehbar ist, dass Systeme als Ganzes Eigenschaften haben können, die den Bestandteilen nicht eigen sind (die Laute "A" bis "Z" können z.B. kluge Carl-Sagan-Texte oder dümmliches Kreationisten-Geschwätz ergeben, ohne dass Klugheit oder Dümmlichkeit eine Lauteigenschaft wäre – siehst Du bei Lauten eigentlich einen "Formfaktor"?), und es im Einzelfall ungeheuer kompliziert bis unmöglich sein kann, herauszubekommen, wie das abläuft. Nicht einig werden wir uns vielleicht bezüglich der Ansicht, separat eine "starke" Emergenz betrachten zu müssen – das scheint mir ein Punkt zu sein, wo unnötigerweise "Magie" ins Spiel gebracht werden könnte.

Kommen wir zu Deiner nächsten Frage:
"Ist es, betrachten wir es evolutionistisch, nicht merkwürdig, daß plötzlich ganz neue Eigenschaften auftreten, wo doch in der Evolution alles sehr kleinschrittig verläuft?"
Da Du nicht ausdrücklich von Leben sprichst, meinst Du wohl auch die unbelebte Evolution im Kosmos. Da kann ich Dir nicht folgen, was Du mit "alles sehr kleinschrittig" meinst. Was ist an einer Supernova "kleinschrittig", wenn dabei aus Wasserstoff die Elemente mit höherer Ordnungszahl entstehen, die schließlich zu Deinen biologischen Bestandteilen geworden sind. Alles kleinschrittig? Kann ich so nicht erkennen.

Deine nächste Frage:
"Und wenn durch Emergenz aus einem Gestöber von Molekülen so etwas wie Geist entstehen soll, an was passen sich da die Organismen an?"
Die Formulierung, "aus einen Gestöber von Molekülen" entsteht "so etwas wie Geist", wäre eine sinnentstellende Verkürzung. Das passiert in ich weiß nicht wie viel Millionen Einzelschritten. Wenn man diese Wegstrecke ignoriert, und dann fragt, an was sich "die Organismen" anpassen, bleibt gänzlich offen, auf welchen Punkt der Wegstrecke sich Deine Zweifel beziehen. Von Organismen kann man ja schon bei den ersten Einzellern sprechen, und die passen sich natürlich an die wechselnden Umgebungsbedingungen an. Wenn nun Millionenfach im Laufe der Evolution alle komplexer gewordenen Organismen sich wieder und wieder an die driftenden Umgebungsbedingungen (zu denen dann natürlich auch die Populationen anderer Organismen gehören) anpassen, dann hat der Gesamtprozess nun mal das Potential gehabt, Geist zu bilden. Der lebende Beweis dafür bist Du selbst.

Anonym hat gesagt…

Hallo!
Starke Emergenz hat mit Magie nichts zu tun. Ich bleibe im Bereich des Naturalismus, nicht aber in dem des Physikalismus/Materialismus.
Starke Emergenz wäre das von Dir angebene Buchstabenbeispiel. Ich glaube niemand kann eine logische Verbindung zwischen dem Feuern von Neuronengruppen und der Bedeutung des Gedachten herstellen. Das zur Zeit meist diskutierte Phänomen dafür sind die Qualia. Niemand kann auch nur einen Erklärungsansatz dafür liefern, wieso die Empfindung rot oder grün aus den beobachtbaren Neuronenaktivitäten entstehen können. Aber das ist ein neues Feld.
Zur Kleinschrittigkeit:
Ich meine primär die biologische Evolution. Ich will es am Beispiel der Federentwicklung erklären. Bei den erdmittelalterlichen Sauropsiden entstanden federartige Gebilde vermutlich als Wärmeisolation, keineswegs als Flugwerkzeuge. Würde man die Federbildung nur von der Materialseite betrachten, so wäre fürs erste nichts Neues zu erwarten. Nun kommt ein kleiner Sprung, der dieses Gebilde zu einem flugtauglichen etwas macht. Was entscheidet darüber, natürlich die Selektion. Aber was ist das eigentlich? Selektiert wird nach aerodynamischen Gesetzen, die Formeigenschaften betreffen. Ahnlich hat Konrad Lorenz das formuliert, indem er sagt, daß der Huf der Pferde eine Anpassung an die Bedingungen der Steppe ist.
Nun zu Deiner letzten Antwort:
Wenn denn der Huf der Pferde neben der Biologie durch die Formbedingungen der Steppe gebildet wurde, was ist denn mit unserem Geist? Wenn wir uns Theorien ausdenken und sie im Experiment prüfen, wenn die Menschen mit Hilfe der Kepplerschen Gesetze auf den Mond fliegen, so ist es doch nur so vernünftig zu erklären, das unser Universum Gesetzmäßigkeiten/Geist enthält, die/den wir erkennen können. Man stelle sich vor, das Universum sei ein geistloses Gestöber von Molekülen, an was hätte sich ein evolvierendes Etwas anpassen können?

derBright hat gesagt…

Hallo Leuchtspur, nach wie vor sehe ich es als unnötige Verwirrung an, separat so was wie "starke Emergenz" einzuführen. Damit verdeckt man, dass möglicherweise mehrere aufeinander aufbauende oder sich durchdringende Emergenzstufen gleichzeitig vorliegen und man nicht hinreichend mit der von Dir angemahnten Gründlichkeit über die Gesamtsituation nachdenkt – oder die Komplexität einfach nur jenseits unseres Fassungsvermögens liegt. Das trifft für das Buchstabenbeispiel zu und wohl auch für anderes, was Du "starke Emergenz" nennen möchtest. Dass "niemand ... einen Erklärungsansatz" für die Qualia liefern kann, ist so nicht ganz richtig. Wer sich dafür interessiert, findet bei Jeff Hawkins: "Die Zukunft der Intelligenz" nützliche Hinweise.

Die "Kleinschrittigkeit" halte ich ebenfalls für ein fragwürdiges Konzept. Evolution passiert gleichzeitig in so viel unterschiedlichen Parameterräumen, dass man deren "Schrittlänge" schlicht nicht vergleichen, d.h. messen kann. Noch weniger lässt sich bei emergenten Erscheinungen eine Art Schrittmaß angeben; ein Versuch, unterschiedliches Schrittmaß von Evolution und Emergenz zu problematisieren, geht also an der Sache vorbei.

Benötigt die Entstehung von Geist fertigen externen Geist, an den er sich hätte anpassen müssen? Nein. Du selbst schreibst über Federn, dass deren Anfänge entstanden sind, ohne dass Flugeigenschaften eine Rolle spielen mussten. Genauso kann sich Geist bilden, als Begleiterscheinung der Auseinandersetzung mit den Mustern, die in Physik, Biologie, Soziologie eine Rolle spielen. Externer Geist ist entbehrlich, wäre eine willkürliche Annahme.

Anonym hat gesagt…

Hallo!
a) Starke und schwache Emergenz sind keine von mir eingführten Begriffe, sondern Fachtermini in der Philosophie des Geisetes.
In der Philosophie des Geistes ist es z.Zt. unstrittig, das die Qualia (z.Zt.) nicht auf physikalisch-chemische Vorgänge reduzierbar sind.
b) Die Kleinschrittigkeit bei Mutationen ist notwendig,da größere Veränderungen die genetisch Information "verrauschen" würde. Um in einer Textanalogie zu bleiben: Wenn ich in einem Text einen einzelnen Buchstaben verändere, kann der Text verständlich bleiben, lasse ich einen Satz oder ein Kapitel aus, wird die Verständlichkeit unwahrscheinlicher.
Wenn also Nervennetze kontinuierlich größer werden in der Ausdehnung und/oder Hierarchisierung - wie sollte dann eine neue Qualität wie Bewußtsein erscheinen - etwa: etwas Bewußtsein, etwas mehr Bewußtsein, noch etwas mehr - Befunde zu abgetuftem Bewußtsein sind mir nicht bekannt.(Zumal der Graben zwischen den Phänomen, auch wenn man Abstufungen finden würde, nicht überbrückt ist.Auf der einen Seite Elektrochemie auf der anderen Bewußtsein, Bedeutung,etc.Eine Reduzierung des Letzteren auf das Erster scheint mir nicht möglich.)
c) Was soll denn das sein: Muster, die in der Physik,Biologie, etc. eine Rolle spielen?
Was sind denn die Gesetze der Aerodynamik, die Kepplerschen Gesetze, die der Elektrodynamik, die Hauptsätze der Thermodynamik? Muster ist da wohl ein irreführender Begriff. Für mich zeigt sich in diesen Gesetzen, den Naturgesetzen, der Geist der Natur, dem z.B.Organismen in ihrer Evolution unterworfen sind.

derBright hat gesagt…

Hallo Leuchtspur, mit den Philosophen, die Emergenz in ihrer Wissenschaft (unter)suchen, werden wir uns nicht anlegen. Bezüglich der Naturwissenschaften aber halte ich es für angebracht, sich den Fragestellern anzuschließen: "The plausibility of strong emergence is questioned by some as contravening our usual understanding of physics". In einem Begriff "starke Emergenz" sehe ich bezüglich naturwissenschaftlicher Phänomene also weder Nützlichkeit noch Produktivität: Unterschiede zwischen erklärbaren und (noch) nicht erklärbaren Phänomenen wären künstlich epochegebunden, also nicht grundlegend.

Bezüglich der Qualia bewege ich mich leider auf sehr dünnem Eis. Da kann ich mich eigentlich nur an Hawkins halten, wobei ich ihn zu verstehen glaube, wenn er es so ausdrückt: "Qualia haben mit der Welt selbst zu tun: Ich nehme die Welt auf eine bestimmte Art wahr". Damit sind Qualia eine Funktion unseres Geistes. Einverstanden? Dass der Geist seinerseits eine Eigenschaft unserer Neuronalstruktur ist, besprechen wir gleich weiter unten noch mal.

Hinsichtlich der von Dir weiter verfochtenen "Kleinschrittigkeit" verstehe ich Deine Argumentation und vermute, dass Du Dich auf einen unnötigen Schematismus einengst. Erst mal gilt weiter, dass Evolution gleichzeitig in so vielen unterschiedlichen Parameterräumen stattfindet, dass Vergleichbarkeit/Messbarkeit eines "Schrittes" nicht gegeben sind. Konkret kann biologische Evolution also durchaus so ablaufen, dass Mengen von Mutationen, die sich auf die Lebensfähigkeit nicht sofort direkt auswirken, längere Zeit immer wieder in ganz unterschiedlichen Richtungen geschehen, aufeinander aufsetzen. Jede Idee eines "Schrittmaßes" kann da nur scheitern. Das Ganze läuft einfach anders ab (als man es hinterher in ein fertiges Ergebnis hineininterpretieren könnte).

Oder nimm Achilles: So lange man sich von der Fixierung auf die Betrachtung der Kleinschrittigkeit nicht löst, wird man Stein und Bein schwören, dass Achilles die Schildkröte nicht einholen kann, denn immer, wenn er ihre frühere Position erreicht hat, ist sie ja wirklich schon ein Stück weiter, und das wirklich unendlich oft. Oder nimm den Dalmatiner: So lange man seine Aufmerksamkeit lediglich auf Einzelheiten richtet, erkennt man nichts. Erst wenn man das Zusammenwirken des Ganzen betrachtet, wird ein Bild daraus.

Deine Schwierigkeit, einem größer werdenden Nervennetz irgendwann das Potential für Bewusstsein zuzubilligen, erinnert an die Frage, wieviel Bäume einen Wald ergeben. Da muss man einfach registrieren, dass es Fragestellungen gibt, die vernünftig klingen und trotzdem in die Irre führen. Tatsache ist, dass es Wälder mit (emergenten) waldtypischen Eigenschaften gibt, und Tatsache ist auch, dass weder ein oder zwei oder drei Bäume hinreichen, um diese Eigenschaften zu emergieren. Es gibt schlicht eine Art Unschärfezone, in der der Übergang passiert. Und beim Nervennetz kommt noch dazu, dass nicht die schiere Menge hinreicht, sondern sich zusätzlich dabei eine geeignete Struktur herausbilden muss – das beschreibt Hawkins sehr instruktiv.

Nicht nur Dir geht es so, dass es zunächst eine Hürde ist, Bewusstsein als emergente Eigenschaft zu erkennen. Eben habe ich noch mal von Steinbuch "Automat und Mensch" 'rausgesucht. In der dritten Auflage (1965) finde ich ich da auf S. 404: "Noch vor einigen Jahren vertrat ich die 'konservative' Ansicht, daß zwischen physikalisch Erklärbarem und geistigen Funktionen doch eine unübersteigbare Grenze bestünde. Bei weiterem Nachdenken wurde mir immer klarer, dass der Verzicht auf überphysikalische Komponenten das Verständnis geistiger Vorgänge wesentlich vertieft und klärt. Wer sein Herz einmal über diese Hürde geworfen hat, fühlt sich befreit von einem Nebel unklarer Voraussetzungen..."

Warum Du Muster für einen "irreführenden" Begriff hältst, habe ich nicht verstanden. Alle Wissenschaft besteht doch darin, wiederkehrende Muster in der Realität zu entdecken und nach den Gründen für ihr Auftreten zu forschen.

Anonym hat gesagt…

Hallo!
Ich denke, daß die wesentlichen Unterschiede unserer Sicht wohl klar sind. Auch denke ich, daß klar ist, daß es mit der Emergenz wohl nicht so einfach ist. Ich möchte nur noch kurz auf Deinen letzten Beitrag eingehen.
a)Das Zitat
"The plausibility of strong emergence is questioned by some as contravening our usual understanding of physics".
ist nun ein merkwürdiges Argument. Man lehnt die starke Emergenz ab, weil sie dem allgemeinen Verständnis von Physik widerspricht. Das kann man tun. Aber den Satz kann man dann auch so darstellen: Starke Emergence-nein- weil nicht sein kann was nicht sein darf.Man kann diesem Glauben anhängen, sollte jedoch wissen, wie sicher man steht.
b) Vielleicht ist das Schildkrötenparadoxon ein hilfreiches Beispiel. Jedes Schulkind weiß, daß Achill die Schildkröte überholen wird. Wo liegt also der Fehler? Der Fehler liegt doch darin, daß man durch die immer kleiner werdenden Intervalle sozusagen die Zeit einfriert. Der Film mit dem Titel "Rennen des Achill gegen die Schildkröte" wird starten, dann immer langsamer laufen und schließlich, bevor Achill die Schildkröte erreicht, stehen bleiben.- Man vernachlässigt also die Zeit in dieser Geschichte. Mein Verdacht hinsichtlich der Emergenz ist, daß auch da Gesetzmäßigkeiten im Nachdenken über den Sachverhalt vernachlässigt werden bzw. noch unklar sind.
c) Der Hinweis auf das Beispiel Baum / Wald bzw. Wiese/ Grashalm hat wohl mit Emergenz nichts zu tun. Man könnte eine Wiese sehr wohl als "viel Gras" bezeichnen, wenn man nicht darauf besteht, daß die Wiese ganz neue Eigenschaften (im Sinne von Emergenz) gegenüber einem Grasbüschel hat.
d)Zum Steinbuchzitat:
Es geht bei meiner Emergenzbetrachtung nicht um einen Dualismus Geist/Materie. Ich bin überzeugt davon, daß ein dumpfer Materialismus/ strikter Physikalismus falsch ist. Um es mit dem Philosophen J.Searle zu sagen, der Materialismus ist falsch, der Dualismus ist falsch. Geist gehört zur Natur als ein natürliches Phänomen.

derBright hat gesagt…

Hallo Leuchtspur, Du hast wohl recht, dass das der Punkt ist, an dem wir beide nun mal landen; kurz zu Deinen Punkten:

a) Wenn der Physiker sagt, dass ein einzelner Sessel nicht das Vermögen hat, in London abzuheben und nach einer Luftreise in Washington sanft zu landen, dann hat er aus faktischen Gründen recht, und nicht deshalb, weil es „dem allgemeinen Verständnis der Physik widerspricht“ und etwa „nicht sein kann, was nicht sein darf“. Und wenn die Vorstellung einer Flugfähigkeit von Sesseln genauso unreal ist wie die Vorstellung von „starker Emergenz“, dann sind eben in beiden Fällen klare Worte angebracht.

b) und c) Aus irgendeinem seltsamen Grund sträubst Du Dich dagegen, Wiese, Wald, Graphit usw. „emergent“ zu nennen; wegen der „dumpfen“ Physik dahinter scheint Dir das trivial zu sein. Überzeugen konnte ich Dich offenbar nicht, also kann ich es einfach nur noch mal mitteilen: Das ist erstaunlicherweise ganz genau dieselbe Emergenz, die schließlich dafür sorgt, dass Deine Neuronalstruktur Deinen Geist verkörpert. In wenigen Dutzend Jahren werden also Ingenieure genauso routinemäßig Geist und Verstand in Maschinen hineinkonstruieren, wie sie heute Flugfähigkeit in den Jumbojet hineinkonstruieren. Und so, wie es vor Lilienthal Skeptiker gab, die das Fliegen nicht für möglich hielten, und so, wie es ein langer Weg war, den Leuten zu vermitteln, dass die Erde nicht flach, sondern eine Kugel ist, so gibt es jetzt eben auch Skeptiker, die nicht sehen, dass Verstand sich als natürliche Eigenschaft geeigneter Neuronalstrukturen entwickelt. Das ist so, das ist normal.

d) Geist gehört zur Natur als ein natürliches Phänomen: das Resultat der Evolution hinreichend komplexer Neuronalstrukturen. Das ist zweifelsfrei richtig.

Anonym hat gesagt…

Der Witz an der Geschichte ist, dass es eine Frage der Interpretation ist. Gibt es grün wirklich? Oder irgendeine Eigenschaft überhaupt? Ist es nicht unser Neurokortex der Eigenschaften der Realität erkennt und sie so benennt wie wir es kennen?
Ist es der Blechdose egal, dass der Feuerwerkskörper, mit der ich sie hochjage, die Eigenschaft "explosiv" hat? Kennt die Blechdose diese Eigenschaft überhaupt, oder überhaupt eine Eigenschaft der Realität?
Das Problem an der Geschichte der starken Emergenz ist, dass komplexe Systeme, denen man früher Nichtreduzierbarkeit attestiert hat, heute aufgrund von Computermodellen perfekt reduzirebar sind, und je größer das Verständnis und die Rechenpower werden, desto mehr scheint tatsächlich reduzierbar zu sein. Es sieht so aus, dass die Komplexität der Realität unser Gehirn zu "Abkürzungen" im Denken bzw. Erkennen zwingt und ergo Nichtreduzierbarkeit an manchen Stellen zu implizieren. Die Krux hier ist, dass bei überschaubaren Systemen noch nie eine "starke Emergenz" beobachtet wurde - und die Überschaubarkeit wächst mit der Erkenntnis und somit mit der Zeit. Es sieht so aus, dass es eben eine Frage der Zeit ist, bis man alles reduzieren kann. Die Position der "starken Emergenz" ist tatsächlich immer weniger haltbar!

derBright hat gesagt…

Hallo Torrriate
Etwas sortiert würde ich das so bestätigen:
– Es gibt eine Realität.
– Mittels unseres Neokortex machen wir uns ein Modell der Realität.
– Dabei finden wir, dass Abläufe bei unterschiedlichen Gegebenheiten zu unterschiedlichen Ergebnissen führen können.
– Es scheint eine fruchtbare Idee zu sein, solche unterschiedlichen Gegebenheiten, die zu unterschiedlichen Ergebnissen führen, „Eigenschaften“ zu nennen.
– Wie sich eine Eigenschaft der realen Welt dem Individuum intern per Neokortex darstellt (Qualia?), kann wohl unterschiedlich sein (manche verbinden Farben mit Tönen, mit Geschmack usw.), ist schwer fassbar und so lange vielleicht nicht so wahnsinnig wichtig, wie man sich gegenseitig verständigen kann, worüber man redet.
– Der Gesichtspunkt einer sogenannten „Reduzierbarkeit“ scheint – obwohl verbreitet – kein sonderlich fruchtbarer Denkansatz zu sein.
Fakt ist: Einzelteile aus der Realität können sich wegen ihrer Individualeigenschaften bei bestimmten Umgebungsbedingungen zu Systemen zusammentun, und das System hat dann neue, andere Eigenschaften als das Einzelteil.
Fakt ist: Selbstverständlich ergeben sich die neuen Systemeigenschaften aus den Individualeigenschaften der Einzelteile und aus nichts anderem (was anderes ist voraussetzungsgemäß nicht da).
Fakt ist: Die dabei wirkenden Sachverhalte können extrem verwickelt/komplex sein und gut und gern jenseits der Fassbarkeit unseres bescheidenen Neokortex liegen. Das ändert aber eben nichts an den Tatsachen.

Anonym hat gesagt…

Hallo!

"Fakt ist: Selbstverständlich ergeben sich die neuen Systemeigenschaften aus den Individualeigenschaften der Einzelteile und aus nichts anderem (was anderes ist voraussetzungsgemäß nicht da)."

Das ist ein erstaunlicher Satz: "Was anderes ist voraussetzungsgemäß nicht da." Weil nicht sein darf, was nicht sein kann! Es geht mir bei diesem Einspruch nicht um den lb.Gott, sondern nur um den quasi religiösen Dogmatismus, der in dieser Aussage steckt.

"Fakt ist: Die dabei wirkenden Sachverhalte können extrem verwickelt/komplex sein und gut und gern jenseits der Fassbarkeit unseres bescheidenen Neokortex liegen. Das ändert aber eben nichts an den Tatsachen."

Auch diese Ansicht ist merkwürdig: Die Dinge können gut und gerne so sein, daß wir sie nicht erfassen! aber wir wissen genau, wie sie zustande kommen, wegen unserer Voraussetzungen!
Da sollte man doch noch einmal nachdenken.Auch hier geht es nicht um den lb. Gott, sondern nur um den Widerspruch, der in der Aussage steckt.
Guten Abend!

Anonym hat gesagt…

Zitat:
– Der Gesichtspunkt einer sogenannten „Reduzierbarkeit“ scheint – obwohl verbreitet – kein sonderlich fruchtbarer Denkansatz zu sein.

Diese Behauptung ist schlichtweg falsch!
Der Ansatz der Reduzierbarkeit hat sich als einer der fruchtbarsten Ansätze herausgestellt wenn es um "tiefere", sprich wissenschaftliche Erkenntnis der Realität geht. Der heutige Standpunkt in der Wissenschaft ist:
Biologie ist komplexe Chemie, die wiederum nichts weiter ist als komplexe Physik.
Ja, die mathematische Beschreibbarkeit der beobachtbaren Welt (ebenfalls ein sehr fruchtbarer Ansatz) ist geradezu nur wegen einem fehlen von Emergenz möglich.

derBright hat gesagt…

Hallo Torrriate, ich bin nicht ganz sicher, ob wir uns hier evtl. über Missverständnisse unterhalten. Was mir an "Reduzierbarkeit" nicht gefällt, ist, dass mit diesem Wort eine Menge Schindluder getrieben wird. Theisten reduzieren "Reduzierbarkeit" gern auf Aussagen wie: Der Mensch werde als nichts anderes denn als "Bioautomat" angesehen. Es ist komplett richtig, wenn Du feststellst, dass "Reduzierbarkeit" (verstanden als Analysierbarkeit) der fruchtbare Ansatz zur Erkenntnis der Realität ist. Auch bei Sätzen wie "Biologie ist komplexe Chemie" gehe ich noch mit, wenn dabei nicht unter den Tisch fällt, dass der Grad der Komplexität die Betrachtung des komplexeren Systems mitsamt der neuen emergenten Eigenschaften erst in Form des neuen Wissenschaftsgebietes Biologie sinnvoll möglich macht, denn z.B. Gebiete wie die Verhaltensbiologie sind durch viele Emergenzstufen so weit weg von der elementaren Chemie, dass Chemie allein da gar nichts mehr erklären kann. Und hier sind wir wieder beim Denkfehler der Theisten, wenn sie "Reduzierbarkeit" sagen: Damit unterstellen sie unsinnigerweise, dass der Naturalist mit der Betrachtung des einfacheren Systems die emergenten Eigenschaften des komplexeren Systems als nicht existent ansieht.

derBright hat gesagt…

Hallo Leuchtspur,
danke für Deine Geduld mit einem unverbesserlichen Naturalisten. Du hast in einem früheren Kommentar schon mal bemängelt, ich ließe Dinge nicht zu, "weil nicht sein kann, was nicht sein darf". Mir bleibt wieder nichts, als zu sagen, wo klare Verhältnisse vorliegen, sind auch klare Worte nötig. Und um nicht noch mal das Beispiel vom Sessel zu bemühen, der nun wirklich nicht eigenständig in London abheben und in Washington sanft landen kann, mal ganz simpel: Bei der Berechnung der Summe von drei und vier ergibt sich die sieben, weil wir uns an die mathematischen Regeln halten, nach denen dann voraussetzungsgemäß nicht damit zu rechnen ist, dass irgendwas in diese betrachteten Verhältnisse eingreift. Das hat definitiv nichts damit zu tun, "dass nicht sein kann, was nicht sein darf".

Dieser Ausschluss von göttlichem Eingreifen ... ist saubere naturwissenschaftliche Methode. Die naturwissenschaftliche Methode darf nicht einen Uhrmacher annehmen, der da eingreift. In ihrer Methode sucht sie die Mechanismen, die Zusammenhänge, die Bedingungszusammenhänge, die Abläufe und Vorgänge erklären können.

Ich halte das eben nicht für erstaunlich, sondern für das normale Rüstzeug des Naturwissenschaftlers. Das habe ich so (etwas verkürzt) aus der Kathpedia herauskopiert und kann nur hoffen, dass wenigstens das konsensfähig ist.
Und: Du hältst mein Vertrauen in die naturalistische Erklärbarkeit unerforschter Phänomene für "erstaunlich". Ich nicht. Seit Jahrtausenden klärt die Naturwissenschaft jährlich, täglich, stündlich immer wieder für neue Phänomene auf, dass sie tatsächlich auf natürliche Weise zustande kommen, und zwar insbesondere ausnahmslos auch dann, wenn vorher behauptet worden war, für die Wissenslücke gäbe es nur eine übernatürliche Erklärung. Für mich sind das sehr viele gute Gründe, da auch für die Zukunft naturalistisch optimistisch zu sein.

Anonym hat gesagt…

Hallo Bright!
Daß Du Dich als Naturalist bezeichnest, ist schon in Ordnung. Mit meinen Einwänden möchte ich nur darauf hinweisen, daß man nicht zu sicher sein sollte. Um Dein Sesselbeispiel zu bemühen. Vorweg, ich glaube auch nicht, daß es fliegende Sessel gibt. Aber wir wollen die Aussage einmal auf Poppersche Weise buchstabieren.
Bisher hat es nie Sessel gegeben, die geflogen sind. Ist das eine Begründung dafür, daß auch der nächste Sessel das nicht kann. Wenn man es streng nimmt, so sagt der Philosoph Popper, kann man das nicht. Kurzum, Deine Aussagen über das was sein wird, sind hypothetisch, sie gelten unter der Voraussetzung bestimmter Prämissen, also ewiger Naturgesetze in deinem Beispiel.
Daß die Naturwissenschaft einen methodischen Atheismus praktiziert, ist völlig richtig; sonst würde man nach der Art der Intelligent Designer für alles, was man nicht erklären kann, den lb. Gott verantwortlich machen.
Daraus aber quasi automatisch eine Weltanschauung zu machen ist nicht zwingend und wahrscheinlich eher ein schlechte Philosophie, da die Naturwissenschaften wesentliche Fragen gar nicht beantworten bzw. erst gar nicht aufwerfen, z.B. die Frage nach der Ethik. Sehr viele Naturwissenschaftler hängen nicht einem ideologisch durch den Atheismus überhöhten Naturalismus an.
Darüber hinaus bin ich der Meinung, daß man den heute erreichten Stand der Naturwissenschaften nicht ahistorische betrachten darf, so als wäre es schon klar, alle Phänomene mit dem heutigen naturwissenschaftlichen Erkenntnissen erklären zu können.
Gruß!

derBright hat gesagt…

Hallo Leuchtspur,
gemessen an unserem individuellen Vorstellungsvermögen ist das Weltall unfassbar groß, unfassbar alt und unfassbar vielfältig. Und trotzdem zeigt alles, was wir bislang darüber in Erfahrung bringen konnten, dass die Natur sich über alle Räume, über alle Zeiten und über alle Vielfalt hinweg bemerkenswerterweise ausnahmslos einheitlich an dieselben eigenen Regeln hält. Wer nur über ein Minimum an Realitätssinn verfügt, dem sagt das über alle Spekulationslust hinweg zwingend, wie unfassbar unwahrscheinlich es ist, dass wir plötzlich mit einer Regeländerung der Natur rechnen sollten.

Ich entsinne mich nicht, jemals von irgendjemand die (ausgesprochen dümmliche) Ansicht gehört zu haben, man könne "alle Phänomene mit den heutigen naturwissenschaftlichen Erkenntnissen erklären". Selbstverständlich werden sich künftig viele neue, überraschende, gänzlich unerwartete naturwissenschaftliche Erkenntnisse ergeben, die dabei helfen, neu gefundene Phänomene zu erklären. Und auch dabei ist es weiter (siehe oben) unfassbar unwahrscheinlich, dass die Natur sich plötzlich nicht mehr an ihre eigenen Regeln halten sollte. Um Missverständnissen vorzubeugen: Es ist kein Widerspruch, dass unsere naturwissenschaftlichen Erkenntnisse einerseits jederzeit extrem lückenhaft sind, und wir gleichzeitig andererseits darauf vertrauen dürfen, dass die Natur sich über alle Räume, über alle Zeiten und über alle Vielfalt hinweg an ihre eigenen Regeln hält. Deshalb ist definitiv weder zu erwarten, dass morgen drei plus vier gleich acht ist, noch dass derselbe Sessel, der bis heute nicht fliegen kann, morgen doch losfliegt.

Wenn Du sagst, "... daß man nicht zu sicher sein sollte", stimme ich gern zu: Dein Wort in der Theisten Ohr. Auch die sind nicht vor der prinzipiellen Möglichkeit geschützt, dass jeglicher Gott nichts als literarische Erfindung und so jede noch so gut gemeinte Mission schlicht Unrecht ist.

Dass Atheismus automatisch zu einer "schlechteren" Philosophie führen soll, scheint mir weder einsichtig noch historisch belegbar. Selbstverständlich pflegen Atheisten außer der Naturwissenschaft genauso engagiert Philosophie und Ethik, das sollte keine Neuigkeit sein.

Beste Grüße -- derBright

Anonym hat gesagt…

Hallo Bright!
"Und trotzdem zeigt alles, was wir bislang darüber in Erfahrung bringen konnten, dass die Natur sich über alle Räume, über alle Zeiten und über alle Vielfalt hinweg bemerkenswerterweise ausnahmslos einheitlich an dieselben eigenen Regeln hält. Wer nur über ein Minimum an Realitätssinn verfügt, dem sagt das über alle Spekulationslust hinweg zwingend, wie unfassbar unwahrscheinlich es ist, dass wir plötzlich mit einer Regeländerung der Natur rechnen sollten."
Nun ja, im Großen und Ganzen stimme ich Dir zu, es geht alles mit rechten Dingen zu. Aber da wir so wenig wissen über das sehr Kleine und das sehr Große, ist uns vielleicht im vielem nicht klar, was die rechten Dinge sind, nicht wahr.

z.B.
Zitat:http://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/0,1518,577626,00.html
Durchleuchtung der Erleuchtung heißt der Titel des Artikels

"Die einschneidendste Erfahrung ihres Lebens machte Eleanor Rosch, als sie ans Totenbett ihres
tibetischen Meisters gerufen wurde. Kaum hatte die Psychologin der University of Berkeley den Raum
betreten, spürte sie eine intensive Präsenz, die von dem in Meditationshaltung sitzenden Toten ausging.
"Es war, als ob der Geist von seiner leiblichen Hülle befreit gewesen wäre und unmittelbar zu mir
spräche", erinnert sich Rosch. Sie habe die Gegenwart ihres Lehrers stärker als je zuvor gespürt – "als sei der Körper nur ein Filter gewesen, der plötzlich weggefallen war".
Solche Erlebnisse haben die meditierende Psychologin zu der Überzeugung geführt: "Unser Körper und unser Geist sind nicht das, wofür die Wissenschaft sie hält". Was aber der Geist ist und wie man ihn zu fassen bekommt, kann auch Eleanor Rosch nicht sagen."
Nun ist das alles wahrscheinlich nur Esoterik. - Und wenn man nun Beobachtungen machte, die dem gängigen materialistischen, naturwissenschaftlichen Bild widersprächen, wäre das für Dich ein Pauluserlebnis? Und wenn es ein solches Pauluserlebnis geben könnte, wäre vor dieser Möglichkeit Deine momentane Sicherheit nicht weiter als ein quasi Glauben an die Naturwissenschaft? Oder bist Du völlig sicher, daß solche Befunde nie gemacht werden können? Wenn ja, auf welchem Dogma beruht Deine Sicherheit?

"Dass Atheismus automatisch zu einer "schlechteren" Philosophie führen soll, scheint mir weder einsichtig noch historisch belegbar. Selbstverständlich pflegen Atheisten außer der Naturwissenschaft genauso engagiert Philosophie und Ethik, das sollte keine Neuigkeit sein."

Der Atheismus beruht, wenn ich es recht sehe, auf einem Materialismus, der mir die beobachtbaren Phänomene nicht überzeugend erklären kann. Ein großes Problem ist die Reduktionsproblem, das auch nicht dadurch verschwindet, daß Du es für unbedeutend hältst.
Als Naturalist magst Du zwar durch Deine Sozialisation auch eine Ethik haben, die aber mit Deinem Naturalismus nichts zu tun hat. Aber das habe ich an anderer Stelle schon diskutiert.

derBright hat gesagt…

Hallo Leuchtspur,
den "rechten Dingen" ist egal, wie viel wir über sie wissen, sie halten sich unabhängig von uns an ihre natürlichen Regeln.
Der Spiegel-Artikel sagt, dass unser Gehirn uns unerwartete, starke Eindrücke vermitteln kann. Das wissen wir seit Urzeiten. Und genau so wissen wir, dass es darunter Eindrücke gibt, die völlig real wirken und trotzdem definitiv keinen Bezug zur Realität haben. Das kann natürlich sehr irritieren und erst mit der nötigen Portion Wissen und Disziplin lernen wir nach und nach, zwischen Einbildung und Realität zu unterscheiden; auch das ist Wissenschaft, das ist nicht leicht, und nicht jeder mag sein Herz über diese Hürde werfen, wie Steinbuch es getan hat (s.o.).
"Wenn man nun Beobachtungen machte, die dem gängigen materialistischen, naturwissenschaftlichen Bild widersprächen..."? Dann werden wir das Bild so ändern, dass es den Beobachtungen gerecht wird. Wo ist das Problem? Das ist doch genau das, was das Wesen der Wissenschaft immer ausgemacht hat: Wir suchen doch mit aller Energie genau nach solchen Beobachtungen, die nicht ins gängige Bild passen, um das Bild laufend zu berichtigen. Würdest Du das "Dogma" nennen? Ich nenne es Vernunft.
Du erwartest, dass Dir alle beobachtbaren Phänomene erklärt werden? Meinst Du das ernst? Dann wäre alle Wissenschaft am Ende, die Menschheit allwissend. Wissenschaft lebt genau davon, sich den unerklärten Phänomenen zu widmen, und davon wird es glücklicherweise immer mehr als genug geben.
Deiner Bemerkung über Ethik kann ich keine besondere Aussage entnehmen. Ist es nicht richtig, sich der Ethik mit gleichem Engagement zu widmen, wie der Naturwissenschaft?