20 Juni, 2007

Warum gibt es etwas und nicht gar nichts?

Mancher fragt sich beim Anblick der heutigen Welt: "Wo ist das alles hergekommen"?
Die Antwort ist einfach: Alles, was wir heute vorfinden, kommt vom voraufgehenden Zustand, von gestern. Und alles, was gestern vorzufinden war, kommt wieder vom voraufgehenden Zustand, vom Tag davor. So einfach. In Ewigkeit. Und nicht anders. Materie ist ewig, ebenso ewig bewegt wie ewig veränderlich.
Wer sich mit dieser einfachen, organischen Sichtweise partout nicht zufrieden geben will, muss mindestens zwei ungeheuer spekulative Dinge erfinden: Erstens muss er unterstellen, es könnte tatsächlich einen Zustand des materiellen "gar nichts" geben, der dann auch wirklich bestanden haben müsste, und zweitens muss er darüber hinaus auch noch unterstellen, dass es eine Möglichkeit gäbe, aus diesem "Gar nichts" das "Alles" zu machen.
(Religionen unterstellen dazu gern eine dritte Spekulation – noch weiter hergeholt als die anderen beiden – dass es göttliche Wesen gäbe, die diesen Übergang vom "nichts" zum "alles" als "Schöpfungsakt" bewerkstelligen.)
Alle Unterstellungen – schon jede für sich – liegen jenseits jeder Vernunft. Für eine Gültigkeit der Unterstellungen gibt es nicht den geringsten Anhaltspunkt – abgesehen von Märchen aus der Eisenzeit, die variiert bis heute weitererzählt werden.
Was ist einfacher und logischer, auch im Sinne von Ockhams? Dass sich der jetzige Zustand jeweils schlicht aus dem voraufgehenden ergibt? Oder dass es einen universellen Zustand des totalen Nichts gegeben haben soll und dazu die Möglichkeit, aus "nichts" "alles" zu machen?
Denken hilft.

Aber halt mal, was ist mit dem Urknall?


Jeder weiß ja, dass mit dem Urknall nicht nur der Raum und die Materie, sondern auch die Zeit entstanden sind, so dass eine Frage nach "Zeit vor dem Urknall" sinnlos ist. Also ist der Urknall und damit "alles" doch wirklich aus dem Nichts entstanden!
Falsch. Über den Zustand, aus dem der Urknall entstanden ist, wissen wir wenig bis nichts. Unklar ist z. Zt. auch noch, wie viel wir jemals darüber wissen werden. Natürlich ist es eine Spekulation, aber wenn wir davon ausgehen, dass der Urknall genauso wie jede andere Veränderung der Welt ein Übergang zwischen unterschiedlichen Zuständen der Materie war, dann haben wir eine Spekulation, die wegen ihrer organischen, konsistenten Struktur sehr viel mehr Richtigkeit enthalten dürfte als jede Spekulation über irgendeine Art "Schöpfung" von "allem" aus "nichts". (Siehe auch: http://www.astronews.com/news/artikel/2007/07/0707-005.shtml )

Wie bewegt man Leute, hier zu zweifeln?


Wer vorher schon weiß, dass er auf einen Schöpfer hinaus will, argumentiert von Anfang an entsprechend: In Verbindung mit der Natur und ihren Erscheinungsformen werden dann gern Beiworte wie "vergänglich" gebraucht, mit der augenscheinlichen Absicht, auf die Endlichkeit alles Irdischen aufmerksam zu machen, wobei sich aus der Endlichkeit ergibt, dass es auch eines Anfangs bedarf, für den letztlich ein Schöpfer nötig wäre. Ein Musterbeispiel dafür findet sich in der Kathpedia, wo es z. B. heißt: "Nun wissen wir eines mit Gewissheit, mit philosophischer, denkerischer Gewissheit: Alles, was wir an Materiellem beobachten können, war einmal nicht. Die Sonne ist entstanden, der Mond, die Erde, das Leben in all seinen Formen, bis hin zum Menschen, zu uns, zu mir. Was einmal nicht war, wird auch wieder vergehen, als Materielles. Was einmal wurde, hat seine Existenz nicht aus sich selber. Es ist in seiner Existenz labil, kann und wird wieder vergehen..."
Nun, derBright wünscht den Lesern, dass ihnen auffällt, dass hier von der Form die Rede ist: Sonne, Mond, Menschen, während gleichzeitig unterschwellig suggeriert wird, die Substanz sei vergänglich ("Alles, was wir an Materiellem beobachten... war einmal nicht...wird auch wieder vergehen, als Materielles.") und bedürfe somit eines Schöpfers, um der Nichtexistenz enthoben zu werden. Umgekehrt wird ein Schuh draus: Die Substanz ist das ewige, ewig veränderliche, das uns mit immer neuen, vergänglichen Formen überrascht: Partikel, Felder, Planeten, Lebewesen, Kunstwerke... eine wunderschöne, konsistente Vorstellung, ganz aus sich selber.

Ergänzung (15.12.2008): Eine Fundgrube für Interessenten sind die Veröffentlichungen von Adolf Grünbaum, darunter der Hinweis aus seiner Bibliographie:
"Why is there a Universe AT ALL, Rather Than Just Nothing?" In J. Shook and P. Kurtz (eds.) The Future of Naturalism. Amherst, NY: Prometheus Books. This article was first published in Free Inquiry as Part I, June/July, 2008 and Part II Aug/Sept 2008. See also [385] and [390].